Die Frage ist vorderhändig einfach zu beantworten, denn Texte sind urheberrechtlich geschützt. Es gibt die Verfasser:innen und deren Nachfahren, bis 70 Jahre nach dem Tod. Sie schließen Verlagsverträge, erhalten Geld, tun dies und das und manchmal nichts. Leicht. Dann die weiteren Beteiligten am Buchmarkt; Akteure in Verlagen, Buchhandlungen, in den Agenturen und Redaktionen. Die machen irgendwas mit Büchern, weil das ihr Job ist und sie dafür beschäftigt werden oder Rechnungen schreiben. Dann sind sie selbständig, wie die Autor:innen. Denen gehört die Literatur nicht, aber sie sind immerhin Expert:innen und als solche im erfreulicheren Fall professionell. Also nicht immer; mal so, mal so. Auch das versteht sich jedenfalls.
Schließlich ein Phänomen, das überhaupt nicht neu ist, aber lange nicht beredet wurde. Oder doch? Und ich habe es nur nicht mitbekommen, denn ich befinde mich in dieser Buchhandlung, deren Status als Verkaufsort ich den 13. Winter gegen andere Ansinnen verteidigt habe. Nämlich: Therapeutische Anlaufstelle, Gastklo, Depot für Amazon-Pakete und manches mehr. Ich bin energisch, und insofern ist der Buchverkauf hier immer noch Geschäftsfeld Nummer 1. Außerdem mache ich das schon eine lange Weile und unterstelle mir selbst, zu den Expertinnen zu zählen. Nicht gegendert. Ich war bereits als Schülerin Expertin und bin das stets geblieben. Der Schlüssel: Lektüre! Wenn man lange dabei ist (das dritte Jahrzehnt fast voll; Wahnsinn), hat man allerlei gelesen.
Und das ist die richtig interessante Frage: Wem gehört im weiteren Sinn die Literatur? Wer ist deutungsleitend, hoheitlich, wer hat zu sagen, was man liest? Ich begann zu Zeiten, als Fernsehsendungen ganze Auflagen verkauften. Elke Heidenreich übrigens immer, stets, ewig, mehr als die Herren in den Ledersesseln. Was nicht daran lag, dass die letzteren manchmal komische Empfehlungen gaben. Machen alle, ich auch, ständig. Aber Elke Heidenreich und ein paar Damen taten damals schon, was heute jeder macht. Sie rieten zu. Leseförderung durch Nachdruck, was ich mir von ihnen (spätpubertäres Blubbern manchmal hin oder her) auch immer gefallen ließ. Sie wussten nämlich Bescheid. Heute raten auch ständig Leute zu oder ab, bei denen ich mir allmählich unsicher werde.
Jetzt nicht die Kolleg:innen im Buchhandel, die Redakteur:innen, Herausgeber:innen; Betriebspersonen. Ich staune und bin erfreut, welchen Kulturwandel im Beredungswesen Corona uns gegeben hat. Die Pandemie war blöd, Zoom aber prima. Auch Insta-Live und bestimmt noch Tik Tok. Muss ich erst ausprobieren. Kleine Filme mit echten Menschen mögen jedenfalls auch die Kund:innen und ihre Buchhändlerin hier in Ostwestfalen. Zur Sicherheit, dass wir erreichbar sind, wurden den ganzen Winter über so viele Kabel verlegt, als bekämen wir demnächst einen Virgin Megastore oder wenigstens Dussmann Quadrat nach Borgholzhausen. Und während ich das schreibe, beantworte ich mir die Eingangsfrage selbst: Die Literatur gehört nämlich nicht mehr. Sie ist.
Die Literatur gehört nicht mehr den Lehrer:innen vom Gymnasium, die mit spitzen Mündern raunten, den neuen Sowieso (Leinen mit Lesebändchen bei mindestens C. H. Beck) müsste man gelesen haben, während ich mir überlegte, boah nee, dafür muss ich einen halben Tag arbeiten. Dafür?! Sie gehört genauso wenig noch den Alternativen, wie sie sich selber nannten. Lacan, Foucault und Derrida. Gedichte von Frauen, die mit Arbeitern oder zwischen Traktoren oder: Was weiß ich. Also die lektürehabituelle Gewandung der Ausläufer von 68. Man musste mit denen immer einigermaßen höflich sein, weil sie eine Menge Geld für das heilige stw ausgaben, während ich bei Berte Bratt feststeckte. Sie sind heute Mumien. Lustiger als die Lehrer:innen von früher; Alternative vergreisen gern schalkhaft. Aber mumifiziert.
Es fallen mir noch mehr Gruppen ein, denen die Literatur einmal gehörte. Männer, die sich für Mosebach-Jünger-Carl Schmitt erwärmen. Freunde der Anakreontik und von Loriot. Viele viele Beispiele. Aber schon wieder öffnet sich die Tür. Jugendliche mit schwarzen Haaren, anders klingende Namensträger:innen, Frauen mit etwas Kopftuch oder viel Schmuck und Absatz und Schminke. Familien mit Religionen, na ja. Ok. Verkehrtgläubig ist immer noch besser als gottlos. Personenkreise jedenfalls, für deren Lesebedürfnisse die Buchhandlung neuerdings hinreicht. Und die auch eben Bücher möchten, die wir liefern können. Keine Raubkopien, Heimlichauflagen, kein Spezialversenderkatalogskrempel.
Die Themen der vielen sind in den Katalogen der Publikumsverlage angekommen. Es wurde auch Zeit. Und die paar Personen, denen das einfach nicht gefällt – die dürfen weiter ihre Insel- und Reclambände haben. Die Literatur gehört in einer offenen Gesellschaft niemandem allein; selbst nicht der Generation Z.
Wie erfreulich!