Meinung ist kein Kleidungsstück

So eine Buchhandlung ist nicht viel anders ausgestattet als ein Kleiderschrank. Möbliert mit Büchern. Es gibt Textilien für jeden Tag, Jeanshosen, Pullover, T-Shirts. Krimis, Familienromane, Bilderbücher für die Kinder. Es gibt Blusen, aber die muss man bügeln, damit sie schön aussehen. Gedichte lesen sich auch nicht im Vorübergehen. Von Wäsche will ich nicht reden, denn ich erzähl ja nicht herum, was sich die Leute so bestellen. Ich bin ja nicht Frau Zuckerberg. Ich bin nur die Frau Bergmann und bloß in diesem Borgholzhausen. Der Mann mit dem Schnurrbart würde, wenn er mich kennte, vielleicht sagen und ganz sicher denken: Sie hat sie nicht alle.

Sie stellt ein Kopftuchmädchen ein, das sich mit schrillbuntem Satin bekleidet. Sie sagt, das ist aber kein Kopftuchmädchen, sondern eine Fachkraft. Interkulturelle Kommunikation, ich lerne jeden Tag von ihr. Sie beschäftigt in einem anderen Jahr jemand aus Syrien, einen jungen Mann. Sie freut sich, wie schnell er ihre Sprache lernt, sie ist ein Experiment mit sich selber eingegangen: Es muss gelingen, dass er ohne Transfergeld auskommt. Denn er kann, vom Kopf, und er will auch, von der Seele. Ich sage immer wieder, das in Deinem Rücken, das ist meine Hand. Meine Hand stützt dich, ich bin da. Ich habe die Privilegien, die dir fehlen, und ich teile sie mit dir. Weil ich absolut nichts dafür getan habe, in diesem reichen Land als gesundes Kind gescheiter Eltern geboren worden zu sein. Die mich genährt, gekleidet, gemocht und, manchmal, geschubst haben. Ich schubs dich auch, denn ich weiß, wenn Du fällst, hast Du meine Hand. Und wenn dich einer von denen schubst, die einfach zu dumm zum Denken sind: Dann bin ich mehr als die. Das kannst Du glauben!

Die Jahre vergingen, der Schnurrbartmann schrieb immer noch ein Buch. Es wurde schlimmer und abstruser, es wurde peinlich. Statistik mit Gefühlen, sagte beim ersten Buch ein Kunde nicht ganz ohne Gehirn. Zweiundzwanzigneunundneunzig, sagte ich und biss die Zähne zusammen. Brauch ich gerade. Für das Kopftuchmädchen, für die Bank, für Strom und Telefon. Mist!

Das letzte Buch ist nicht mehr erschienen wie gehabt. Der große Verlag verzichtete auf eine Auflage. Zweiundzwanzigneunundneunzig mal hunderttausend oder mehr. Ich hatte eins bestellt, für den Typ von damals. Einen der ersten Kunden, und ich bin ja treu, auf meine Weise. Es stand da und glotzte mich an, jeden Tag. Eine grüne Fratze. Er kam nicht, um es abzuholen. Was weiß ich, warum. Ich hätte es zerstören mögen, kaputtreißen. Ein anderer kam heute, der konnte das gebrauchen. Er fand auch wieder, also, nun – junge Frau. Wenn ich Ihnen etwas sagen darf. Wenn Sie doch auch mal bitte Verständnis haben.

Wofür?

Was treibt Menschen, sich diesen Unsinn reinzutun? Fünfundzwanzig Euro für Blabla, sinister. Verquirlten Mist, Vorurteile, Gemeinplätze. Schlecht sitzende Schlüpfer aus Polyester, die schon riechen, bevor man sich hineingequetscht hat. Wer zieht sowas an, und warum? Jeder hat sein schmutziges Geheimnis, aber es muss ja nicht nach außen stinken. Ich will das nicht in meiner Nase, in meinem Laden, dieses faulig wabernde Gemoser. Ich bestelle den Sarrazin weiter, ich halte nichts von Zensur. Aber den Ertrag stecke ich von nun an in ein Schwein. Zehn Euro pro Buch. Mal sehen, was zusammenkommt.

Eines Tages hauen wir das Schwein kaputt, die Frau mit dem Kopftuch, der syrische Lehrling und ich. Und meine anderen herrlichen Mitarbeiter, auch die Oma. Ich hoffe, das Schwein wird nicht viel Geld enthalten, ich hoffe sehr, ich muss aufstocken, um ihnen allen reichlich den Tisch zu decken. Den ich mit feinem Leinen belege und mit schönem Porzellan. Denn es ist genug für alle da. In diesem Land, an meiner Tafel.

6 Gedanken zu “Meinung ist kein Kleidungsstück

  1. Aus tiefstem herzen vielen Dank für diesen großartigen Beitrag. Wünsche gute Geschäfte, mit vielen großartigen Büchern. Herzliche Grüße

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