Der suchende Blick, seit diese Buchhandlung zum ersten Mal ihre Türen öffnete. Das ist lange her, und viel hat sich verändert. Als ich hier anfing, war das große Thema Service. Höher, schneller, weiter. Wir überschlugen uns alle, um jeden Tag fünfmal zu beweisen, dass wir besser seien als die Anbieter in der Stadt. Wo sie Kaffee hatten und man sitzen konnte, wo Anonymität gegeben war. Muss ja nicht jeder wissen, was wir privat so lesen. Nä, Frau Berchmann. Hamse Vaständnis füa.
Mit meinem Verständnis ist das so eine Sache. Ich begreife durchaus und recht schnell, worum es eigentlich geht. Dieser Service, lernte ich, der ist ein seifiges Brett. Da rutscht man schnell drauf aus – und sei es nur auf der eigenen Schleimspur. Viel wichtiger, es darf nicht langweilig werden. Denn Kleinstädte und Dörfer sind nun mal dort, wo sie sich eben befinden. Genau nicht am Nabel der Welt. Es ist zwangsläufig etwas, nein, sehr öde. Und der beste Dienst am Endverbraucher (m/w/d) ist die gute Unterhaltung. Immer mal was Neues, gelegentlich ein kleines Spektakel. Zwei-, dreimal in fünf Jahren auch ein Feuerwerk. Als da wären: Diverse Preise. Einige mit Urkunden, andere mit Geld. Ein höchst Geliebter, der viel älter war als ich. Die Kleine Oma. Irgendwas ist immer.
Zurzeit beschäftigt, dass die Kinder meiner Geschwister mir ähnlich sehen. Nä, Frau Berchmann. Wo Se die dann wohl foa uns vasteckt hatten. Kea, Kea, Mädchen. Frau Berchmann. Kinder und Eltern haben keinen Schaden von dem Gerede, und was soll es also. Servietten gehen gerade auffällig gut. Lunch- wie Cocktailservietten. Klassische Muster wie Blümchen noch etwas besser als die modernen Sorten, zum Beispiel mit Streifen. Was ungefähr belegt, welcher Alterskohorte die ermittelnden Milieus zuzurechnen sind. Es muss geredet werden.
Die Quatscherei ist wahrscheinlich wie ein Probealarm bei der Feuerwehr. Wenn der Fernseher nicht mehr tut: Im Notfall machen wir ein Feuerchen und erzählen uns Geschichten. Frau Berchmann, und das hatten Sie doch auch studiert, oder? Da in Sie Ihre Universität, wo der Nachbar gar nicht mal drauf klargekommen war, nä?
Geschichte, nicht Geschichten. Aber im zweiten Fach Literaturwissenschaft, und mein absolutes Lieblingsbuch ist nämlich: Morphology of the folktale von einem Herrn Propp aus Russland. Den man weiter gut finden kann, weil er lange tot ist und auch damals ein Gegner von Diktatoren war. Wladimir Propp wie Martina Bergmann: Die tun nix. Die haben halt komische Hobbys, aber das ist bei denen so. Gehirnmäßig sind die etwas anders gewickelt als der gemeine Mann. Sonst, okay.
Und Frau Berchmann, was hat der denn jetzt immer mit Ihrer Studiererei? Der hat doch nur, äh, Klasse 10. Weiß ich, von meiner Doris, die mit dem seine Mutter. Also, Frau Berchmann, dem sind Sie aber derbe über, nä. Ich sach dem das gleich mal eben. Frau Klüngelmeier, bitte ich. Nicht extra ärgern. Frau Klüngelmeier findet das blöd und trollt sich. Wiedervorlage, ich weiß es jetzt schon. Propp, Bergmann, Volksmärchen. Hä? Und wo ist denn jetzt endlich der Mann? Also, der das alles bezahlt? Weil, nä, Frau Berchmann. Ist ja gut und schön. Aber was ne ordentliche Firma ist, da gehöat doch schon der Mann ins Haus. Kea, Kea. Frau Berchmann.
Es ist das dreizehnte Jahr. Service als Alleinstellungsmerkmal wurde überschätzt. Die Alleinstellung ist heute, einfach da zu sein. Möglichst gut gelaunt und auf jeden Fall mit immer neuen Abenteuern. Worauf Sie sich verlassen können. Jau, Frau Berchmann. Wiaklich, wenn Sie das sagen. Da valass ich mich dadrauf. Studiert is besser wie gelabert. Quasi amtlich. Und so geht es immer weiter hier. Die Suche nach Bauland, Pi, dem Sinn des Lebens. Nur den Mann, der das bezahlt: Den gibt es nicht. Das ist einfach alles meins.