Der Irrtum

Ich lebte mit diesem Mann zusammen, der den Frauen wohlgesinnt war. Und nicht auf die Anfass-Weise, die sich ländlich zugestanden wird, auch heute noch. Nein, dieser Mann war fein mit seinen Schwestern, seiner Cousine, den Töchtern, Nichten und Enkelinnen. Er förderte die Bildung von Frauen, gab ihnen Geld, wenn sie etwas lernen wollten, sprach zu. Er hatte seine Fehler, so war das nicht. Aber er war den Frauen auf eine Weise wohlgesinnt, die ich nicht kannte.

Ich bewunderte das. Und ich sah, wie Frauen wurden, die in einer solchen Umgebung aufwachsen. Wie sie, ohne zu zögern, scheinbar ohne überhaupt zu wissen, dass man zögern kann, ihre Chancen wahrnahmen. Durch die Welt reisten, sich hier und da einmieteten, die Männer wählten nach Belieben. Denen viele der Gedanken fremd waren, die ich mir machte. Und sei es nur, dass ich gute Schuhe trug, weil man im Einzelhandel viel steht. Man braucht die Füße ein Leben lang.

Der Mann und seine Frauen waren auf eine Weise selbstbewusst, die mir unvertraut war. Eine Mischung aus Bürgerlichkeit und deren Gegenteil. Sie leisteten sich allerlei, was ich von zu Hause anders kannte. Allein, dass da niemand wusste, wie man einen Knopf annäht. Dass selbst zu Beerdigungen Blümchenkleider angezogen wurden, dass – ach, na ja. Sie waren bunte Schmetterlinge, die ich mochte, ohne mich meiner selbst zu schämen.

Ich kann über dieses Milieu nichts Schlechteres sagen, als dass es eben überhaupt nicht meines ist. Ich liebte diesen Mann genug, um seine Schmetterlinge anzunehmen. Andere Männer haben rare Autos oder komische Hobbys, zum Beispiel Grabungen oder Münzen. Zu ihm gehörten diese verrückten Frauen. Ich merkte nur nach ein paar Jahren, ich brauche einen Ausgleich. Denn ich bin nicht so und will es auch nie werden. Das Milieu, aus dem ich stamme, ist in Ordnung.

Als Kontrapunkt in meinem Leben wählte ich die CDU. Wahrscheinlich ist das der blödeste jemals genannte Grund, ein Parteikärtchen zu erwerben, dessen Rückseite Konrad Adenauer in Öl verziert: Ausgleich gegenüber dem kultivierteren Teil der BRD-Linken, Schublade: Beamte im Bildungsbereich. Ich habe manchmal erzählt, ich sei der Merkel wegen beigetreten. Aber die Syrer kamen später. Ich war schon da, und das lag an dem Liebsten mit all seinen Schmetterlingen.

Ich ging also zur CDU, nahm mein Kärtchen, bezahlte zehn Euro im Monat und versank wieder im Alltag. Der Liebste wurde hinfällig, dann siech, dann starb er. Ich hatte über Jahre damit zu tun, die Schmetterlinge zu sortieren. Einige waren nicht so nett und harmlos, wie sie aussahen. Erbstreitigkeiten. Die CDU war irgendwie auch da, aber wenig präsent. Das ist ja einer ihrer Vorzüge: Du kannst als Frau die Familie vorschützen. Das wird nicht nur akzeptiert, das kommt sogar gut an.

Die CDU ist eine Partei, in der Frauen und ihren herkömmlichen Tätigkeiten, nämlich der Sorge für Kinder und Senioren, Rechnung getragen wird. Die schätzen es, wenn Du eine Oma im Schlepptau hast, die Draht erzählt. Die mögen, dass Du auf Ämter verzichtest, weil Du jeden Abend Punkt halb acht Essen servieren musst, denn die Oma hat nur diesen einen Annahmezeitpunkt. So ist die Demenz, und an der richtete ich mich eben aus. Der CDU gefiel’s.

Die CDU machte dies und das, was mir missfiel. Wozu ich mich äußerte, und nicht leise. Ich hatte erstens Zeit (Abendessen-Aufsicht), zweitens Reichweite (Internet) und drittens Spaß an der Konfrontation. Die CDU tat sich zum Beispiel schwer damit zu sagen, dass diese Pfeifen von der AfD am Tisch der Demokratie Messer und Gabel nicht zu führen wissen. Als die Herren und wenigen Damen in Blau mit den Fingern zu essen begannen, folgte mir die CDU. Aber es dauerte.

Die CDU gefiel sich in der Vorstellung, in Sachen Gleichberechtigung weit vorn zu sein. Bundeskanzlerin! EU-Kommissionspräsidentin! Wahnsinn, was die für kluge Frauen förderten. Meine Meinung war immer, daraus wird erst andersherum ein Schuh. Es gibt Frauen, zu allen Zeiten, die sind schlau und zäh genug, sich selbst in so einem Krawattenträgerverein durchzusetzen. Aber deswegen sind die Typen im Anzug noch nicht Frauen wohlgesinnt. Da hatte ich ja nun das Gegenmodell erlebt.

Wähler:innen waren häufiger derselben Ansicht, denn sie brachten uns 2021 eine Regierung aus Parteien, zu denen Menschen mit Lebensentwürfen gehören, die der CDU eher fremd sind. Ich will gar nicht sagen, dass sie bei der CDU etwas dagegen haben, wie Menschen auch leben, mit wem sie leben und wie sie sich das organisieren. Ich erlebe die CDU seit vielen Jahren als aufgeschlossen oder wenigstens als nett. Aber sie kennen manches nicht, und woher auch?

Es ist, da wo sie funktioniert, eine Partei des ländlichen Mittelstands mit all seinem Für und Wider. Wir kümmern uns um die kleinen und die alten Menschen, weil wir das richtig finden. Wir sind daran interessiert, dass der Staat die Versorgung begleitet. Aber der Staat ist draußen, und hinter meiner Haustür bin ich privat. Wir finden gut, dass der Staat viel Geld ausgibt, für Schwache aller Kategorien. Wir meinen aber, ein bisschen Entgegenkommen darf man dafür erwarten.

Ich will es nicht mal Leistung nennen. Aber es anzuerkennen, dass nicht alles selbstverständlich und auf Antrag kommt. Denn wir sind die, die das bezahlen. Mit unseren Steuern und auch, als Arbeitgeber:innen, mit unseren Nerven. Ich habe irgendwann aufgehört, Personen mit interessanter Biografie in der Buchhandlung zu beschäftigen. Ich mach das jetzt im Ehrenamt und auswärts. Punkt.

Soweit der Historie. Und jetzt ist diese freundlich-mottige Partei, in der ich mich durchaus wohlfühle wie auf einem alten Küchensofa (kennt man, passt sich dem Körper fast von selber an, wenn man sich darauf ablegt), also diese Partei hat nun festgestellt, ein Frauenproblem zu haben. Welches, so der Vorsitzende, aber nicht vorrangig sei. Denn auch Frauen müssten sich in der Sacharbeit bewähren. Wenn man sie denn fragt, und dann könnten sie ja auch mal zeigen, was sie draufhaben.

Das, lieber Friedrich Merz, das ist einfach echt ein Irrtum. Wer heute noch meint, Frauen warten, bis sie aufgerufen werden, der hat – tut mir Leid, dass ich das in aller Deutlichkeit so sage – politisch keine Zukunft. Nicht mal in der CDU.

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